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"Mehrere Kessel" - Was dem ukrainischen Militär im Donbass droht

2024-09-06 22:51
von Thomas

"Wackelige Front geschwächt"

Russlands Verteidigungsministerium bestätigt: die Kämpfe im Gebiet Kursk dauern an. Das ukrainische Militär versucht, in Richtung der Orte Borki, Marjewka, Kamyschewka, Tscherkasskoje Poretschnoje, Olgowka, Korenewo und Martynowka vorzurücken, allerdings werden diese Angriffe abgewehrt. Insbesondere zerschlugen Angehörige der 810. Marineinfanteriebrigade am 1. September eine ukrainische Kolonne.

Kiews westliche Sponsoren beobachten den ukrainischen Militäreinsatz unter Einbeziehung von mehreren Brigaden im Gebiet Kursk skeptisch.

"Wenn sie nicht rotiert werden, werden diese Truppen keine Lücken schließen, als Reserve eingesetzt werden oder die russische Offensive innerhalb der Ukraine abwehren können. Mit anderen Worten, das schwächt die ohnehin wackelige Front", bemerkt die Zeitschrift Foreign Affairs. Die Operation zehre viel stärker gerade an den ukrainischen Kräften, betonen die Autoren des Artikels.

Dies schlägt sich auch an anderen Frontabschnitten nieder.

Die Situation ist kritisch, Russlands Armee rückt schneller vor als im Sommer 2022, die ukrainischen Militärs bereiten sich auf die Verteidigung von Dnjepropetrowsk vor – jede russische Publikation wäre für solche Meldungen eines leichtsinnigen Hochmuts beschuldigt worden. Doch diese Folgerungen kommen von der "anderen Seite" – so bewertet die Lage der Bild-Redakteur Julian Röpcke, der noch vor Kurzem die Erfolge des ukrainischen Militärs besungen hatte.

Der Grund für einen solchen Stimmungsumschwung ist eine für Kiew schwierige Lage gleich an mehreren Frontabschnitten.

Einen Großteil der Aufmerksamkeit zieht gerade Krasnoarmeisk (ukrainischer Name: Pokrowsk) auf sich. Nach Angaben von Russlands Verteidigungsministerium erreichten die russischen Truppen eine für das ukrainische Militär vorteilhafte Verteidigungslinie aus vier Siedlungen: Dimitrow (ukrainischer Name: Mirnograd), Grodowka, Nowogrodowka und Selidowo. Durch ein verzweigtes Straßennetz verbunden, von Bergehalden und Hochhäusern umgeben, könnten sie lange einen sicheren Schutz für die Kreishauptstadt garantieren.

Doch von der ukrainischen Seite erscheinen Meldungen, dass es den russischen Truppen in der vergangenen Woche gelungen sei, Nowogrodowka binnen weniger Tage zu befreien. Nach Angaben der Rada-Abgeordneten Marjana Besuglaja habe es dort zwar Befestigungen gegeben, aber keine Truppen, die sie verteidigen würden.

"Die Schützengräben vor Nowogrodowka waren leer. In der ehemals 20.000-köpfigen Stadt gab es praktisch keine ukrainische Armee: die 31. Brigade wurde verlegt, ihr Kommandeur, für den sich das Kollektiv eingesetzt hatte, entlassen und einem Strafverfahren unterzogen", entrüstete sie sich.

"Es wurde die Entscheidung getroffen, die Truppen zurückzuziehen. Die Frage, wozu, sollte der Generalstab beantworten. Um Leben zu schützen. Wir hätten die Offensive für zwei bis drei Tage angehalten und eine gewisse Anzahl unserer Kameraden verloren. Ich denke, dass Nowogrodowka geografisch nicht besonders günstig gelegen war. Als Festung war es gar nicht ausgebaut", sagte der Offizier der ukrainischen 59. Separaten motorisierten Brigade, Sergei Zechozki.

Moskau bestätigt diese Angaben bislang nicht. Sollte die Stadt tatsächlich befreit sein, ist der gesamte ukrainische Truppenverband an diesem Frontabschnitt bedroht.

Gefahr der Einkesselung

Für Russlands Armee würde sich die Möglichkeit eröffnen, auf Selidowo vorzurücken, was für eine Begradigung der Flanken notwendig ist. Die am nordöstlichen Stadtrand gelegene Bergehalde des Korotschenko-Bergwerks ist nach Angaben ukrainischer Telegramkanäle gegenwärtig umkämpft. Das ist eine beherrschende Anhöhe und ein vorteilhaftes Aufmarschgebiet zur Befreiung der gesamten Stadt. Nach Besuglajas Angaben seien russische Truppen bereits in die Siedlung eingedrungen.

Aber damit hören Kiews Probleme nicht auf. Der russische Truppenverband bedroht den ukrainischen Verteidigungsfrontbogen bei Newelskoje auch aus dem Norden, andere russische Einheiten rücken weiter südlich auf Alexandropol vor. Die ukrainischen Verbände sind faktisch zur Hälfte eingekesselt. Dieser Frontabschnitt ist der letzte, von dem aus das ukrainische Militär seit dem Jahr 2014 Donezk unter Beschuss genommen hat.

"Einheiten von mindestens vier ukrainischen Brigaden riskieren, in einen Kessel südlich von Pokrowsk zu geraten", warnt der Militärexperte der Zeitschrift Forbes, David Axe.

Die Rede ist hier von der 59. Separaten mechanisierten Brigade, der 117. Brigade der Territorialverteidigung, der 15. Brigade der Nationalgarde und der 68. Jägerbrigade. Sollte die 25. Luftlandebrigade mit ihren deutsch produzierten Marder-Schützenpanzern die Russen bei Ukrainsk nicht aufhalten, könnte ein Rückzug zu deren Einkesselung führen, merkt der Journalist unter Verweis auf eine Erklärung des ukrainischen Zentrums für Verteidigungsstrategien an.

Mögliche Folgen

Bis Pokrowsk selbst bleiben den russischen Truppen weniger als zehn Kilometer. Dies ist eine der wichtigsten Städte für das ukrainische Militär in der Donezker Volksrepublik. Ihre Befreiung hätte eine ganze Reihe von Folgen:

Erstens würde eine Befreiung von Pokrowsk einen faktischen Durchbruch zum Gebiet Dnjepropetrowsk bedeuten.

Zweitens wäre die Straße Pokrowsk – Konstantinowka – Tschassow Jar, über die der Truppenverband bei Tschassow Jar versorgt wird, durchgeschnitten. Die Lage an diesem Frontabschnitt würde für Kiew extrem schwierig werden, während die russischen Truppen die Möglichkeit erhalten würden, nach Norden auf Dobropolje vorzurücken und dem ukrainischen Truppenverband in Slawjansk und Kramatorsk in die Flanke zu fallen.

Drittens wären auch die ukrainischen Verbände bei Kurachowo bedroht. Wie die britische Zeitung The Telegraph anmerkt, wäre hier eine Einkesselung der Truppen ebenfalls durchaus möglich.

Indessen bereitet Kiew die öffentliche Meinung bereits auf einen Verlust von Pokrowsk vor. "Wird das die gesamte Front beeinträchtigen? Manche sagen, dass alle logistischen Wege geschlossen werden, dass wir die Verteidigung nicht halten werden können und dass der Donbass erobert wird. Dem stimme ich nicht zu, denn der Gegner erobert die Gebiete allmählich. Es gibt Schlüsselgebiete, es gibt Anhöhen, doch selbst wenn er Pokrowsk einnehmen würde, würde es nicht bedeuten, dass der Krieg verloren ist", behauptete am Montag Roman Kostenko, der Leiter des ukrainischen Parlamentsausschusses für Verteidigung und nationale Sicherheit.

Eingekesselt

Am Frontabschnitt Ugledar haben Russlands Streitkräfte nach Angaben des Verteidigungsministeriums in der vergangenen Woche das große Dorf Konstantinowka befreit, was in der Perspektive ermöglichen würde, das Straßennetz bei Kurachowo durchzuschneiden.

Nach Angaben einiger Telegramkanäle rückten russische Truppen außerdem in Pretschistowka westlich von Ugledar ein. Das Verteidigungsministerium meldete ukrainische Personal- und Technikverluste in dieser Siedlung. Gelingt es, von hier aus weiter nach Norden vorzurücken, wird die Stadt Ugledar, die lange als uneinnehmbar galt, eingekesselt und von der Verteidigung abgeschnitten.

Dies wird durch die Erstürmung des Juschnodonbasskaja-Bergwerks weiter im Nordosten begünstigt. Eine Befreiung Ugledars würde den Weg nach Kurachowo von der Südflanke her eröffnen.

Am Frontabschnitt Dserschinsk (ukrainischer Name: Torezk) versuchen Russlands Streitkräfte die beherrschenden Anhöhen und Bergehalden östlich der Stadt zu besetzen. Es gibt Geländegewinne im Norden bei der Siedlung Druschba. Nach der Befreiung von New York (Nowogorodskoje) im August begannen die Kämpfe in Torezk selbst. Die russischen Truppen umstellen die Stadt zudem weiter an den Flanken.

Parallel dazu gibt es Erfolge am Frontabschnitt Kupjansk. Am Sonntag gratulierte Russlands Verteidigungsminister Andrei Beloussow den Truppen zur Befreiung von Sinkowka im Gebiet Charkow, was die Armee dem Fluss Oskol näher bringt.

Das ukrainische Militär hat immer mehr Probleme, und jedes davon droht, zu einer Katastrophe heranzuwachsen. Die russische Offensive nimmt an Tempo zu. Die Hauptfrage besteht darin, ob Kiew noch Reserven hat, um die Lage zu stabilisieren. Davon hängt der Ausgang der gesamten Konfrontation ab.

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