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Von Fall zu Fall

Wie ich so im Nachhinein von einigen Kameraden erfahren habe, mussten die sich ganz schön nach der Decke strecken, um bei den Fallschirmjägern dienen zu dürfen.
Da muss bei mir ´was falsch gelaufen sein!? Bei der GST hatte ich nur eins vor Augen – den Führerschein fürs Motorrad, billiger konnte man den Lappen nicht kriegen. War ja dann auch so. Irgendwann lag eine Postkarte im Briefkasten, der „Musterungsbefehl“. Naja, also zum festgesetzten Termin zum Wehrkreiskommando und … die Hosen runter. Wie am Fließband lief das ab, kein großes Gelaber, nur immer „Weiter!“. Zu guter Letzt stand ich vor einem Tisch mit drei uniformierten „Herren“ und die Stunde der Wahrheit war eingeläutet … gut, es waren keine zehn Minuten … „Gratuliere meine Junge, Du wirst Fallschirmjäger!“ Alles in einem militärisch zackigen Ton. Hat nur noch der Knall des Stempels auf das Blatt Papier gefehlt – „KV“. Also war die erzgebirgische Luft doch nicht die ungesündeste …
Ein paar Tage vor der Einberufung wurde ich dann feierlich im Betrieb verabschiedet und erhielt einen Paten an die Seite, der fortan den Kontakt zwischen mir und der Brigade halten sollte.

Meine Stunde Null begann in „Zwigge uff´m Boahnhoff“. Per Sammeltransport im Sonderzug über Leipzig – Berlin nach Prora und immer dabei Leute mit weißem Koppelzeug, die zwar jeden auf den Zug aufstiegen ließen aber nur ausgesuchte an bestimmten Bahnhöfen wieder runter. Der Zug war nämlich „Zubringer“ für viele Dienststellen der unterschiedlichsten Waffengattungen.
Als es über den Rügendamm ging, wurde mir schon ganz anders …. Sollte ich nicht Fallschirmjäger werden? Aber hier war nur Wasser, soweit das Auge blickte. Oh oh …
Es war der 02.11.1966, ein sehr kalter Tag, als ich am Arsch der Welt – äh – in Prora ankam und am Bahnhof stand ein Unteroffizier, der nicht gerade „zutraulich“ aussah. Es dauerte auch nicht lange bis nur noch ein kleines Grüppchen – ich mitten drin – auf dem Bahnhofsvorplatz übrig war und besagter Unteroffizier. Ein jähes „Gepäck aufnehmen“ ließ die letzte Zigarettenkippe aus den Fingern gleiten und … ab ging´s im Gänsemarsch. Im Zug hatten wir noch tolle Sprüche gekloppt und ausgelassen gesungen, aber mit jedem weiteren Schritt vom Bahnhof weg wurde es immer ruhiger.
Dann ging es ein breites Tor, der Wache stand die Freude über die „Glatten“ schon ins Gesicht geschrieben … bald wussten wir auch warum! Als erstes ging es zur Kleiderkammer, dort herrschte dann schon ein härterer militärischer Ton. Ich begriff auch schnell, dass der militärische Sprachgebrauch nur auf das Notwendigste reduziert war. Zweite Worte dominierten hier in diesem Bereich: „Passt!“ und „Weiter!“ … Widerspruch war zwecklos. Der „BA-Bulle“ Dieckmann machte kein großes Federlesen. Gleich vor Ort hieß es Zivil aus Unterwäsche und Trainingsanzug an. Wer natürlich Mutti´s Zettel mit den Größen verschludert hatte … konnte immer noch mit einem anderen tauschen. Irgendwie hat zum Schluss alles irgendwie gepasst! Die Zivilklamotten … keine Chance … kamen gleich in den Karton, den jeder mit der Bekleidung empfangen hatte, und der ging mit der nächsten Post nach Hause.

Im Trainingsanzug mit „Seesack“ über der Schulter wurden wir vor der Kleiderkammer unserem zukünftigen Spieß übergeben. Hauptfeldwebel Walter Heilek sportlich durchtrainiert und ein Organ, das jedem Feldmarschall zur Ehre gereicht hätte. Ich später selber einmal erlebt, wie sich die Fenster im fünften Stock nach außen wölbten als er im Erdgeschoß „Alles raustreten!“ brüllte. Ehrlich.
In der A-Kompanie war das nun der Mann, der steht mein Wohl vor Augen hatte, über mein Tun und Lassen in Prora entschied. Uns wurde also nichts geschenkt und uns blieb nichts erspart. Schließlich sollten und wollten wir Fallschirmjäger werden … dem Himmel ein Stück näher sein als andere Soldaten. Also bezogen wir unsere Unterkünfte im fünften Stock!
Irgendwie haben wir es auch mit Sack und Pack nach oben geschafft, wobei ich ja schon viel vom „Koloss von Rügen“ und dass der mal ein Urlaubsdomizil für 20.000 Menschen von einer Organisation „Kraft durch Freude“ sein sollte, dass war mir an diesem Tag aber so egal … die Kraft war fast am Ende und die Freude seitdem Verlassen des Zuges vergangen.
Nun lernten wir den KC, Zugführer und die Gruppenführer kennen. Meiner muss im UAZ so viel „Dampf“ bekommen, dass er den Druck regelrecht an uns weitergab und sich deshalb uns richtig ins Gehirn gebrannt hat.

Die richtige Schinderei begann mit dem Bettbau – die Lieblingsdisziplin von Hauptfeld und Gruppenführer. Die blaukarierte Bettwäsche musst immer auf Bettkante ausgerichtet und auf der Wolldecke am Fußende das NVA lesen zu sein. Damit ja die Wäsche im Spint auch auf Kante lag, wurde innen eine Zeitung auf 30 cm Breite gefaltet und in der Wäsche mit gefaltet.
Aus alten Filmen kannte ich es ja, dass der Spieß immer ein Notizbuch bei sich trug, aber „Papa Heilek“ hatte noch ein weiteres Utensil – ein Stöckchen mit Maßkerbe bei 30 Zentimetern. Es wurde nichts dem Zufall … aber auch gar nichts. Und eh die Tür hinter den bei zufiel, hab ich bei Drei aufgehört zu zählen, wie oft mein Spint noch nach vorne fiel … nicht nur an diesem Tag. Es war ein gewisser Usus.
Jedenfalls hatte ich schon während der A-Kompanie bereut, mich für die Fallschirmjäger gemeldet zu haben. Immerhin gab es für alles eine Steigerungsform ….
Jeden Morgen diese Hundekälte, es war ja schließlich November, zum Frühsport dann ein 3000 Meterlauf zum warm werden, anschließend in der Ostsee ein „kleines Bad“ zum Abkühlen und damit niemand zurückblieb, schön „Händchen“ haltend. Das bei jedem Wetter.

Aber irgendwann war es dann soweit. Während einer Ausbildungsstunde hatte ich so die Schnauze voll, dass mit ein „Scheiß Fahne“ lauthals entfleuchte und das wohlgeschulte Ohr meines Gruppenführers erreichte. Der gebot mir dann in voller Ausrüstung gleitend den Horizont zu erreichen, nur verlief dieser parallel zur Ostsee, immer an der Wasserkante und war hier der Unteroffizier … also nicht so schnell zu erreichen. Erst als ich mit ihm einer Meinung war und lautstark verkündete „Es gefällt mir bei der Armee!“, konnte man wieder von einem ausgewogenen Unterstellungsverhältnis sprechen!
Es schien während der Zeit in der A-Kompanie nur zwei Fortbewegungsarten zu geben: Gleiten im Gelände und Laufschritt bis in den fünften Stock. Je nach Laune der Vorgesetzten mal mit Ausrüstung, gepacktem „Seesack“ oder an Feiertagen auch mal ohne. Um keine Langeweile aufkommen zu lassen, wurde ab und an auch mal „Maskenball“ gespielt – von einer Uniform in die andere springen, also von der Sportbekleidung in die Ausgangsuniform, von der wiederum in die Felddienst und alles nach Normzeiten. An eine andere Freizeit und Briefe schreiben war kam zu denken, wir sind abends todmüde ins Bett gefallen und haben die ganze Nacht im Halbschlaf nur noch auf „Alarm“ gewartet, bis uns das schrille Pfeifen des UvD’ s aus den Betten und zum Frühsport trieb. Zum Glück war auch diese Zeit mal vorbei.
In der letzten Woche der A-Kompanie konnte man dann wählen, in welche Einheit man wollte … Kp., BB, STZ oder Funkzug. Ich hatte mich für die Tasenf… entschieden. Vorher wurde noch ein Hörtest gemacht.
Also jeder war für eine kurze Zeit selber seines Glückes Schmied, denn wo er hin wollte, war die letzte freiwillig Entscheidung. Lediglich den Allerbesten wurde diese abgenommen, sie wurden überzeugt dorthin zugehen, wo ich um Gotteswillen nicht hin wollte, da es in meinen Augen glatter „Selbstmord“ war, zum UAZ. Die Ausbildung dort dauerte ganze 10 Monate, dass wollte ich mir und letztendlich meiner armen Mutter nicht antun.
Selbst bei den Funkern hat man mir nichts geschenkt. Die Ausbildung war mehr als nur hart, aber dafür perfekt und ich bin heute noch einige Uffz. und Offz. Dafür dankbar, dass sie mir so viel bei gebracht haben, was mich heute noch mit manchen Dingen viel besser klarkommen und so manches locker wegstecken lässt.

Übrigens – das Fallschirmjägerhandbuch ist erst in den 70er Jahren verlegt worden und alles was dort niedergeschrieben ist, sind Erfahrungen, die unseren Jahrgängen viel Schweiß und Nerven gekostet haben. Die Uffz. und Offz. hatten zu meiner Zeit sowohl gute bis sehr gute theoretische wie auch praktische Erfahrungen, weshalb viele Offiziersschüler der OHS der LaSK auch ihr Praktikum bei uns im Bataillon ableisten mussten.
Auch wenn ich damals, ins Geheime noch öfters, „Scheiß Fahne!“ gesagt habe, so bin ich heute – wie viele andere bestimmt auch – der Meinung: Es war meine schönste Zeit, an die ich mich noch heute gern erinnere.

Soweit aus dem Leben
des „Sprutzes“ Siggi Subklew

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