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Die Entwicklung des Fallschirmes der Serie RS-4

(auf dem RÜCKEN getragener SPRUNGFALLSCHIRM-4)

Die Auswertung der Luftlandung eines Regimentes (LLR) der sowjetischen Armee während des Herbstmanövers „Quartett“ im Jahre 1963 erbrachte für die Armeeführung der DDR die Notwendigkeit zur Entwicklung eines neuen Truppenfallschirmes.

Dabei wurden folgende taktische Überlegungen als Voraussetzung für die Entwicklung zu Grunde gelegt:

  • Der Einsatz der Fallschirmjäger erfolgte in „Einsatzgruppen“ (EG), d.h. taktische Einheiten des FJB-5 in Stärke einer Gruppe, welche bei Erfordernis mit Spezialisten des Nach-richtenzuges und des Sprengtauchzuges verstärkt wurden.
  • Der Einsatz der EG sollte im Rahmen einer Armee erfolgen. Die Absetzflugzeuge des Typs AN-8 und AN-12 hatten die Armee-oder Frontfliegerkräfte der sowjetischen Armee zu stellen. Das Absetzen erfolgte bei diesen Flugzeugen über das Heck; dabei betrug die Absetzgeschwindigkeit bis zu 350 km/h. Für Ausbildungszwecke standen vorerst die NVA-eigene Flugzeuge AN-2 und Hubschrauber Mi-4 zur Verfügung.
  • Die Einsatzgruppen sollten bei begrenzter Sicht bzw. bei Nacht abgesetzt werden.

Folgende Anforderungen wurden an den neuen Schirm gestellt:

  • Der Schirm sollte über eine Stabilisierungseinrichtung zur verzögerten Öffnung verfügen. Dadurch wurde die Möglichkeit zum Mitführen von Waffen und Ausrüstung vereinfacht und auf eine lange Freifallausbildung der Fallschirmjäger konnte verzichtet werden.
  • Die maximale Belastung sollte wenigstens 130 kg betragen und dabei eine Sinkge-schwindigkeit von 5 m/s nicht übersteigen.
  • Der Fallschirm sollte nach der Kappenöffnung eine hohe Eigenstabilität haben, die er bis zur Landung halten konnte.
  • Eine Steuerung des Schirmes war nicht vorgesehen. Grund hierfür war der Einsatz bei Nacht und der damit einhergehenden erhöhten Kollisionsgefahr bei Steuermanövern.
  • Die Öffnungseinleitung des Schirmes sollte so sicher wie möglich erfolgen.
  • Das Gurtzeug musste im angelegten Zustande bequem angepasst werden.
  • Der Schirm sollte einfach zu packen sein und die Möglichkeit zum Mitführen von Waffen und Ausrüstung musste bestehen.
  • Der Fallschirm sollte nach der Landung sehr schnell abgelegt werden können; durch Schnelltrennverschlüsse sollte der Nutzer die Chance haben, die Kappe bei starken Winden am Boden vom Gurtzeug zu trennen.

Beauftragt durch die Abteilung Technik des Kommandos der Luftstreitkräfte / Luftverteidigung wurden die Studien durch die Forschungs- und Entwicklungsstelle der BEWES Seifhennersdorf praktisch umgesetzt und man testete verschiedene Modelle im Maßstab 1:4.

Ing. Günter Wagner, Themenbearbeiter
Textil-Ing. Rudi Nitzold (links stehend), Leiter der Entwicklungsstelle
Puppe für eine Fallschirmprüfung aufgerüstet

Am Ende setzte sich eine Neuentwicklung durch, welche sich durch folgende Eigenschaften gegenüber den anderen Modellen hervortat:

  • sehr weiche Öffnung selbst bei hohen Absetzge- schwindigkeiten
  • optimaler Füllprozess der Kappe, beginnend vom Scheitel und an der Basis endend
  • keinerlei Anfälligkeit für Pendelbewegungen
  • sehr hohe Stabilität der geöffneten Kappe bis zur Landung

Der RS-4

In Seifhennersdorf arbeitete man 1965 weiter an den Erkenntnissen der bisherigen Erprobung und fertigte Funktionsmuster des neuen Fallschirms mit der Bezeichnung RS-4.

Die Kappenfläche des RS-4 betrug 88,6 m². Der Fallschirm hatte 30 Bahnen und bestand aus sogenanntem Baumwollbatistgewebe, eine Mischung aus Baumwolle und Seide im Verhältnis 1:1.

Die 30 Fangleinen bestanden aus Dederon. Die Öffnung des Fallschirms erfolgte über den Stabilisator. Dieser war in einer Gewebehülle verpackt, welche mit der Aufzugsleine verbunden war. Dadurch wurde der Stabilisator beim Absprung zwangsgeöffnet.

Das Gesamtgewicht des RS-4 betrug 19 kg.

Wichtigste Neuerung des Fallschirms war die Entwicklung der Leitfläche. Hierbei handelte es sich um ein wulstiges Gebilde anschließend am Basisrand der Kappe Richtung Kappenpol. Rundkappenschirme sind tragende Flächen. Fangleinen verbinden die Last mit der Kappe und in der Atmosphäre bremst diese Konstruktion den Fall durch hohen Luftwiderstand. Die gestaute Luft in der geöffneten Kappe weicht dann zwischen den Befestigungspunkten der Fangleinen am Basisrand in alle Richtungen aus, d.h. sie verlässt zum größten Teil den gestauten Bereich.

Die Leitfläche des RS-4 ist vom Umfang größer als der Umfang des Basisrandes und dadurch entsteht die „Wulst“. Durch diese konstruktive Änderung steht der Basisrand der geöffneten Kappe nicht mehr senkrecht zur Fallrichtung. Die gestaute Luft wird nun teilweise wieder zurück in den gestauten Bereich geleitet und dadurch wird der Kappeninnendruck deutlich erhöht. Das Verhältnis zwischen der Leitfläche und der tragenden Fläche ist 1:6. Ergebnis dieser Neuentwicklung ist eine sanfte Kappenöffnung, eine hohe Kappenstabilität sowie ein geringeres Sinken trotz einer kleineren tragenden Fläche.

Fallschirm ohne Leitfläche T10
Fallschirm ohne Leitfläche D-1
Leitfläche des Fallschirmes RS-4
Doppelkegelschloss aus der UdSSR

Bei den Testabwürfen (mit Puppen) bzw. Testsprüngen auf den Flugplätzen Peenemünde und Barth sind nachfolgende Mängel erkannt worden:

  • Die eigene Herstellung der Doppelkegelschlösser erwies sich auf Grund des Herstellungsverfahrens als mangelhaft. Durch die starke Krafteinwirkung kam es zu Deformierungen der gepressten Metallteile, die zur Folge hatte, dass bei stabilisierten Puppenabwürfen der Schirm nicht immer geöffnet wurde.
  • Bei verdreht eingelegten Fangleinen befüllte sich die Kappe nicht vollständig und der Basisrand schaffte es nicht, sich zu öffnen.
  • Durch die sehr hohe Stabilität der geöffneten Kappe war es dem Springer unmöglich, Richtungsänderungen durch Herunterziehen der Fangleinen einzuleiten (Slippen). Es hatte zur Folge, dass Kollisionen mit Hindernissen auf den Boden unausweichlich wurden.

Der RS-4/1

Die oben aufgeführten Mängel konnten teilweise auf den Erprobungsplätzen durch konstruktive Änderung behoben und durch Testabwürfe erprobt werden. BEWES produzierte in ihrer Fertigungsstätte 1966 neue Funktionsmuster. Die Mängel aus dem Jahre 1965 wurden wie folgt beseitigt:

  • Es wurden nur noch importierte Doppelkegelschlösser aus der UdSSR verbaut. (Später konnte man das Problem auch in der DDR-Produktion lösen.)
  • Am Basisrand zwischen den Fangleinen wurden auf jeder Bahn kleine Lufttaschen aufgenäht. In diesen staute sich die Luft und dadurch wurde eine Öffnung des Basisrandes auch bei verdrehen Fangleinen gewährleistet.
  • An den Bahnen 1, 2 und 30 wurden Teile der Leitfläche entfernt und dadurch ein geringfügiger Vorschub ermöglicht. An den Bahnen 6 und 24 entnahm man je 3 Felder und befestigte Steuerleinen an den Vorderkanten. Jetzt konnte der Schirm gedreht werden um Hindernissen am Boden ausweichen zu können. Nachteil dieser Änderung war eine spürbare Erhöhung der Sinkgeschwindigkeit insbesondere bei fehlendem Wind. Die Toleranzgrenze von 5,2 m/s bei 130 kg soll bei jedoch nicht überschritten worden sein.
  • Erstmalig wurden Kappentrennschlösser aus der CSSR verbaut. Sie hatten nicht nur die Aufgabe, sich der Kappe bei starkem Wind schnell entledigen zu können, man konnte jetzt auch Rettungsgeräte mittels Karabinerhaken bequem daran befestigen.
Technische Angaben  
   
Kappenform: Rund
Fläche der Fallschirmkappe: 88,6 m²
Absetzgeschwindigkeit bei Sofortöffnung: 100 - 250 km/h
Minimalabsprunghöhe: 300 m
Nutzlast: 130 kp (max)
Sinkgeschwindigkeit mit max. Sprunggewicht: 5,2 m/s (bei 130 kp)
360°-Drehung in: 18 s
Vorschubgeschwindigkeit: 1,5 – 2,0 m/s
max . Gleitzahl /
Anzahl der Fangleinen / Bahnen: 30
Länge der Fangleinen: 6,8 m
Gewicht von Hauptfallschirm und Gurtzeug: 19 kg
Abmessungen der Fallschirmes (gepackt): 305 x 560 x 210 mm
Anzahl der Bahnen: Baumwoll-Batist
Betriebsdauer: 8 Jahre
Packzyklus: 30 Tage

 

Mit der Einführung des RS-4/1 gab es nun für die Fallschirmjäger eine neue Art des Fallschirmspringens, der „stabilisierte Fall“.

Ursprung dieser Art des Springens kam von den Luftlandeeinheiten der Sowjetarmee (CA). Er wurde angewendet, um die Absetzgeschwindigkeiten von 300 km/h auf 150 km/h zu reduzieren und dann eine gefahrlose Öffnung der Kappe ohne erhöhten Entfaltungsstoß und Beschädigung des Fallschirms einzuleiten. Während man in der CA prinzipiell nur mit „automatischer Öffnung“ sprang und stets je nach Einstellung 2 – 5 s den Automaten ziehen ließ, ging man in der NVA einen Schritt weiter und führte bereits in der Ausbildung Sprünge bis 30 s stabilisierten Fall aus 2000 m Höhe durch. Die Fallgeschwindigkeit im stabilisierten Fall betrug dabei mit dem RS-4/1 50 – 55 m/s.

Diese neue Art des Fallschirmspringens setzte eine besondere Körperhaltung des Springers voraus. Der Absprung erfolgte mit angezogenen Beinen wie bei den automatischen Sprüngen. Nach der Öffnung des Stabilisators veränderte sich die Bewegung des Springers in vertikaler Richtung. Während die Beine weiterhin angezogen und geschlossen blieben, wurden die Unterarme nach vorne gebracht, so dass durch die Drehung der Hände eine Richtungskorrektur erfolgen konnte. Dieses war unter anderem notwendig, um Kollisionen mit anderen Springern zu vermeiden bzw. unabsichtlich eingeleitete Drehungen (durch ungleichmäßig angelegte Ausrüstung oder Haltungsfehler) entgegenwirken zu können. Durch die Fixierung des Stabilisators auf Schulterhöhe wurde der Springer in aufrechter Position gehalten; ein Überschlagen war in dieser Lage nicht möglich.

Diese Art des Fallschirmspringens war sehr effektiv und viel weniger trainingsintensiv als das Freifallspringen.

Gleichzeitig mit der Erprobung der Nullserie des RS-4/1 bekam das FJB im Spätsommer 1966 die ersten Muster des Fallschirmjägertornisters (FJT) zur Begutachtung. In ihm konnten die Fallschirmjäger nun ca. 25 kg Gepäck verstauen und mitführen. Der Tornister wurde unterhalb des Hauptschirms auf Höhe des Gesäßes getragen. Er war mit Gurten, welche durch Trennschnallen gehalten wurden, mit dem Schirm verbunden. Um Verletzungen während der Landung vorzubeugen, wurde der FJT vor dem Aufsetzen vom Gurtzeug getrennt und fiel dann in die 10m lange Ablassleine. Ein Karabinerhaken an der Ablassleine stellte die Verbindung zwischen dem Tornister und des Sprungfallschirms her. Es konnten sowohl Sofortöffnungs- als auch Verzögerungs-sprünge mit dem FJT durchgeführt werden.

Absprunghaltung
Stabfallhaltung (Drehung)
Fallschirmjägertornister
FJT angelegt
Sprunggruppe des FJB-5 mit RS-4/1 und Kampfanzug (Flecktarn)

Der RS-4/2

Ebenfalls im September 1966 brachten die Entwickler des VEB BEWES einen RS-4/1 aus Dederon mit in das FJB. Ein Gewebestreifen mit niederer Luftdurchlässigkeit wurde um die Leitfläche herum eingesetzt. Diese Änderung erhöhte den Entfaltungsstoße bei der Öffnung der Kappe minimal, ließ den Springer aber deutlich langsamer sinken. Insgesamt fiel die Meinung sehr positiv aus. Der Fallschirm war leichter und auf Grund seiner Sinkgeschwindigkeit angenehmer zu springen. Der Schirm erhielt die Bezeichnung RS-4/2.

Der Test im FJB wurde im laufenden Jahr nicht mehr beendet, musste aber bzgl. einer späteren Serienreife weitergeführt werden. Dabei verunglückte der Erprobungsspringer der Gesellschaft für Sport und Technik tödlich. Durch einen Packfehler wurde der Stabilisator nach dem Absprung eingeklemmt und konnte sich nicht öffnen. Die dann nicht eingeleitete Öffnung des Rettungsgerätes kostete dem Springer das Leben.

Bis zum Abschluss der Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft wurden alle weiteren Tests mit dem RS-4/2 eingestellt, ein erster Rückschritt für die Weiterentwicklung des Fallschirms.

Der RS-4/3

(RÜCKENFALLSCHIRM-4/3)

Im Frühjahr 1967 setzten die Fallschirmjäger des FJB-5 die Erprobung des RS-4/1 weiter fort. Dabei kam es zu einem schwerwiegenden Sprungunfall. Ein Fallschirmjäger geriet in die hinteren Vorschuböffnungen des unter ihm fliegenden Springers und rutschte durch diese hindurch. Trotz Öffnung eines Rettungsgerätes verletzten sich die beiden Fallschirmjäger beim Aufschlag schwer.

Das war nach der Einstellung des Testes vom RS-4/2 der zweite schwere Schlag für die Einwicklung des neuen Sprungschirmes.

Die Produktion des RS-4/1 konnte nicht mehr storniert werden (eine Kompanie des FJB erhielt die Schirme und wurde weiter daran ausgebildet). An die Entwickler von Seifhennersdorf wurden aber die Forderungen gestellt, Änderungen an dem Schirm schnell vorzunehmen. Alle Öffnungen der Kappe sollten so klein wie möglich gehalten werden, dass ein Durchfallen anderer Springer nicht mehr möglich sein sollte.

Bereits im Juni 1967 erhielt das FJB mehrere Funktionsmuster des geänderten Fallschirms zu Test-sprüngen. Was hatte sich geändert?

  • Die Kappenfläche hatte nur noch eine Größe von 73,4 m².
  • Das Material bestand aus Dederon mit unterschiedlichen Luftdurchlässigkeiten.
  • Der Schirm besaß 4 kleine Steuerschlitze, welche wie Klappen wirkten. Im geöffneten Zustand wurde so eine Vorschubgeschwindigkeit von ca. 3 m/s erreicht.
  • Die Sinkgeschwindigkeit lag bei einer Belastung von 130 kg bei nur 4,2 m/s (+/- 0,3 m/s).
  • Eine komplette Drehung in der Luft konnte in unter 10 s durchgeführt werden.
  • Die Gewichteinsparung gegenüber dem RS-4/1 lag bei 3 kg.,
  • Auf Grund des neuen Kappengewebes erhöhte sich die Lagerzeit im gepackten Zustand auf drei Monate.

Die Bezeichnung des „neuen“ Fallschirms war RS-4/3. Die Testsprünge dauerten noch einen weiteren Monat mit mehreren Fallschirmen der Nullserie. Die Auswertung bescheinigte dem Schirm durchweg positives, so dass mit der Serienproduktion begonnen werden konnte. Gleichzeitig endete die kurze Produktionszeit des RS-4/1.

Beschreibung der Fallschirmkappe:

Felder I (unmittelbar an der Basis) – stark luftdurchlässiges Gewebe zur Verhinderung der Kappen-verformung beim Öffnungsvorgang. Lufttaschen unter jeder zweiten Bahn.

Beschreibung der Fallschirmkappe:

Felder II & III – fast luftundurchlässiges Gewebe zur Gewährleistung eines gleichmäßigen Spreizens der Kappe bei der Öffnung, einer hohen Stabilität und geringer Sinkgeschwindigkeit. Sie bildeten die Leitfläche des RS-4/3.

Beschreibung der Fallschirmkappe:

Felder V - Gewebe mit hoher Luftdurchlässigkeit zur Verstärkung des Effektes der Felder IV sowie eines pendelfreien Sinkens.

Technische Angaben  
   
Kappenform: Rund
Fläche der Fallschirmkappe: 73,4 m²
Absetzgeschwindigkeit bei Sofortöffnung: 100 - 250 km/h
Minimalabsprunghöhe: 150 m
Nutzlast: 130 kp (max)
Sinkgeschwindigkeit mit max. Sprunggewicht: 4 - 4,5 m/s (bei 130 kp)
360°-Drehung in: 8 s
Vorschubgeschwindigkeit: 3 m/s
max . Gleitzahl /
Anzahl der Fangleinen / Bahnen: 30
Länge der Fangleinen: 7 m
Gewicht von Hauptfallschirm und Gurtzeug: 13 kg
Abmessungen der Fallschirmes (gepackt): 305 x 560 x 150 mm
Anzahl der Bahnen: Polyamidseide
Betriebsdauer: 8 Jahre
Packzyklus: 90 Tage

 

Sprung aus dem Hubschrauber Mi-4 mit TSM & MPi
Ein gefährlicher Moment – Teile des Fallschirms befinden sich im Windschatten des Springers

Im Jahre 1970 führte das FJB ein erstes Springen aus dem sowjetischen Großraumflugzeug AN-8 durch. Diese Einsatzvariante war u.a. für den „scharfen Einsatz“ der Fallschirmjäger vorgesehen. Die besondere Herausforderung war hierbei, dass bei einer Geschwindigkeit von 260 – 300 km/h das Flugzeug über die Heckluke verlassen wurde. Dabei betrug der Sprungintervall der Fallschirmjäger nur 0,6 – 0,8 s.

Hier zeigten sich die ersten Schwächen des sonst so zuverlässigen Schirmes. Verlässt der Springer den Heckbereich, dann fällt er erstmal in den Windschatten des Flugzeugs. Gleichzeitig wird aber der Verpackungssack des Fallschirms geöffnet und der Stabilisator freigelegt. Unterhalb des Flugzeuges wird der Springer dann vom starken Luftstrom erfasst und mitgerissen. Bei nicht korrekter Sprunghaltung kann es dabei zu Überschlägen kommen, in Folge dessen dann der Stabilisator in den Windschatten des Springers gerät und dadurch die ordnungsgemäße Öffnung des Fallschirms verzögert werden kann. Außerdem kann es hierbei auch zum Hängenbleiben des Stabilisators am Springer oder seiner Ausrüstung kommen, was für ihn u.a. schwere Folgen nach sich ziehen könnte.

Als Interimslösung wurde bei Sprüngen über 250 km/h der Federhilfsschirm Optimus eingesetzt. Dabei befestigte man den Optimus am Verzögerungssack des Stabilisator. Die Aufzugsleine am Flugzeug öffnete nach dem Absprung nur noch den Verpackungssack und aktivierte den Sprungautomat. Mit Öffnen des Verpackungssacks drückte eine Feder den Hilfsschirm in den Luftstrom, weg vom Springer und zog den Verzögerungssack vom Stabilisator. Optimus und Verzögerungssack des Stabilisators fielen dann getrennt vom restlichen System zur Erde.

Der Federhilfsschirm springt mittels Federkraft in den Luftstrom.
Der Federhilfsschirm zieht den Verzögerungssack vom Stabilisator.
Der Stabilisator ist geöffnet, Federhilfsschirm mit Verzö-gerungssack fällt getrennt zu Boden.

Der RS-4/4

Die u.g. Interimslösung konnte nicht die endgültige Lösung des Problems sein. In taktischen Einsätzen war es dem Soldaten nicht möglich, nach der Luftlandung den Hilfsschirm mit Verzögerungssack (Stabilisator) zu bergen. Er musste seinen Standort so schnell wie möglich verlassen um seine Aufträge gedeckt zu erfüllen. Zurückgelassene Gegenstände hätten Aufschluss über den Einsatz der Fallschirmjäger in den rückwärtigen Gebieten des Gegners gegeben und der Einsatz wäre gefährdet bzw. gescheitert gewesen. Auch in Friedenszeiten bedeutete die u.g. Einsatzvariante unter Umständen immer Materialverlust.

In Seifhennersdorf nahm man sich der Sache an und änderte den RS-4/3 wie folgt ab. Bei der Einsatzvariante mit Stabilisierung von 250 bis 350 km/h Absetzgeschwindigkeit zieht ein federnd gelagerter Hilfsschirm den Stabilisator mit Verzögerungssack des Stabilisators aus dem Verpackungssack heraus, schlauft die Fangleinen des Stabilisators aus und zieht den Verzögerungssack vom ihm herunter. Mittels einer starren Verbindungleine sowie einer 48 cm langen Zwischenleine bleiben alle Teile des Fallschirms miteinander verbunden. Die Verbindungsleine (3m) verbindet den Verzögerungssack des Fallschirms, läuft durch eine Zeltöse des Stabilisators und endet an der Zwischenleine. In der Zwischenleine war ebenfalls eine Absprungscheibe (16 cm) eingefädelt. Sie gewährleistete ein kraftvolles Herausspringen des Hilfsschirmes aus dem Verpackungssack.

Dieser Sprungfallschirm wurde als RS-4/4 Mitte der siebziger Jahre eingeführt und ersetzte den bis dahin verwendeten RS-4/3.

Von rechts nach links: 1. Hilfsschirm, 2. Zwischenleine, 3. Absprungscheibe, 4. Verzögerungssack des Stabilisators, 5. Stabilisator, 6. Starre Verbindungleine, 7. Fangleinen des Stabilisators, 8. Verzögerungssack der Fallschirmkappe, 9. Fallschirmkappe

Der RS-4/4 stellte die letzte relevante Ausfertigung des RS-4 für den Einsatz in den bewaffneten Organen der DDR dar.

Varianten des RS-4/3 bzw RS-4/4:

RS-4/3A, RS-4/4A … Exportmuster des Fallschirms für den Einsatz in Ungarn (Sofortöffnung, Stabilisierter Fall, Freifall)

Varianten des RS-4/3 bzw RS-4/4:

RS-4/3B, RS-4/4B … Muster für die Fallschirmjäger und Aufklärer (Sofortöffnung, Stabilisierter Fall)

Varianten des RS-4/3 bzw RS-4/4:

RS-4/3C … Muster für die Ausbildung in den Luftstreitkräften und in der GST (Sofortöffnung, Freifall).

Varianten des RS-4/3 bzw RS-4/4:

RS-4/3D … Muster für Kampfschwimmer (Sofortöffnung, Stabilisierter Fall, Freifall, Wassersprünge). Beim RS-4/3D gab es zusätzlich einen zweiten Verpackungssack (ohne Stabilisierungseinrichtung, wie beim RS-4/3c), welcher vorwiegend bei Wassersprüngen verwendet wurde.

Literatur- und Bildquellen:

  • Gerhard Leutert: Fallschirmjäger der NVA., 1. Auflage
  • Handbuch für Fallschirmjäger, 1. Auflage
  • Anleitung A 250/1/301 „Sprungschirm RS4/4“, 1976
  • Grundwissen des Fallschirmspringers, GST 1987
  • “Die Fallschirmschneider von Seifhenners- dorf“, Aerosport 07´1966
  • „Fallschirmprüfung in der DDR“ Fliegerjahrbuch 1961
  • http://desantura.ru
  • http://http://combatgear.blog.hu/2010/07/31/ /rs_4_4
  • http://www.felhout.hu
  • www.youtube.de
  • Bilder von Gerhard Leutert (Seite 9, 14), Wolfgang Fründt (Seite 6, 13), Rüdiger Schulz (Seite 12, 16, 22, 23, 30), Gottfried Neis (Seite 13, 32), Hans-Jürgen Nowaczyk (Seite 28)

Herausgearbeitet von René Richter unter freundlicher Mitwirkung von Gerhard Leutert und Wolfgang Fründt.

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